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DER HEIDNISCHE HEILAND

Von Tom Harpur

bei Ansata erschienen

 

Einige Zitate sollen belegen, worum es im Buch geht:

„biblische Schriften (sind) oft ... entstellte Ab- oder Nachschriften einer älteren Weisheitsliteratur“, „das ganze christliche Lehrsystem sei nichts anderes als eine neu aufgezäumte, verstümmelte Version des ägyptischen Originals“, „Die buchstabengetreue Interpretation des Erzählten führt unweigerlich zur Götzenanbetung oder absolutem Blödsinn.“

Der Autor Tom Harpur (nicht zu verwechseln mit Tom Harper) ist Gräzist und Hebräist, lehrte Neutestamentliche Theologie an der Universität von Toronto und gilt als international anerkannter Spezialist für die Geschichte des frühen Christentums. (Das heißt übrigens auch, dass er kaum als verspäteter Ahnen-Erbe zu verdächtigen ist.)

Der Total-Verriss der etablierten christlichen Religion erschien im Original erstmalig 2004. Seine deutschen Untertitel lauten „Die Auferstehung des ursprünglichen Glaubens“ und „Das Jesus-Plagiat enthüllt“.

Vor einem möglichen Missverständnis ist allerdings vorab zu warnen: „Heidnisch“ meint hier vor allem die antike ägyptische Religion; Veden, Zoroaster, Krishna, skandinavische Mythen usw. werden zwar erwähnt, spielen aber kaum eine oder gar keine Rolle.

Das Buch kann unter drei Gesichtspunkten gelesen werden:

-          als Versuch, den christlichen Glauben auf der ursprünglichen und heidnischen esoterischen Grundlage zu erneuern, um eine globale kosmische religiöse Harmonie zu ermöglichen (so das eigentliche Ziel des Buches),

-          als Dokumentation christlicher Geschichte in Abfolge von Fälschungen, Manipulationen und Gewalt, von Anbeginn bis zur Gegenwart. Die Darstellung der universellen heidnischen (vor allem ägyptischen) Wurzeln des Christentums, die so gut wie alles, was originär christlich erscheint, vorwegnehmen. Die neue „schlechtere“ Qualität des christlichen Glaubens als Ursache für seinen weltweiten Erfolg.

-          als antichristliche Stoff- und Zitatensammlung.

H. bezieht sich hauptsächlich auf englischsprachige Literatur, dabei vor allem auf G. Massey (Ägyptologe, 1828-1908) und A. B. Kuhn (Spezialist für alte religiöse Literatur, 1881-1963); nur wenig davon ist laut Literaturverzeichnis auch in Deutsch erhältlich. Außerdem sieht sich H. von Finkelstein/Silbermann und ihren Forschungsergebnissen bestätigt.

 

Die neue Qualität bei H. besteht darin, die bisher eher summarischen Bezüge auf Vorläufer des Christentums (Gnostiker, Judentum, Griechen usw.) durch eine Dokumentation von Detaillierung und Umfang der Übereinstimmungen vor allem mit der ägyptischen Religion (Mysterienriten, Totenbuch) zu ergänzen. Als Beispiele können scheinbar eindeutig christliche Fixpunkte hier nur kursorisch und auszugsweise aufgeführt werden. Laut H. sind sie alle auf weitaus ältere Vorläufer (bis zu fünftausend Jahren) zurückzuführen:

Jungfrauengeburt, Morgenstern, Bergpredigt, Menschenfischer, Gang über Wasser, Verwandlung Wasser in Wein, Abschlachtung der unschuldigen Kinder, Versuchung in der Wüste, Martha/Maria/Lazarus-Auferstehung, Flucht vor Herodes, Kreuzigung, Wiederauferstehung, Inkarnation usw.

Das Kreuz verwendeten bereits andere (ältere) Religionen, Moses ist in Ramose/Thutmosis vorgebildet, Jesus in Iusu/Iusa, Jesus/Maria in Horus/Isis, KRST findet sich auf (älteren)
ägyptischen Mumiensarkophagen, das Christusmonogramm auf Münzen 40 Jahre vor Christus, die 10 Gebote in den „Lehren aus dem Gerichtssaal“.

Die heidnischen antiken Religionen hatten dabei lt. H. ein spirituelles Verständnis: Fleischwerdung des Göttlichen im Menschlichen. Die Sonne nur als Symbol für das Göttliche (einschl. der eigenen Göttlichkeit). Es waren Mythen, die nicht geglaubt wurden, sondern an die geglaubt wurde. Der Mythos wurde im Drama dargestellt und im Mysterienspiel weitererzählt. Dabei war den Gläubigen bewusst, dass es sich nicht um historische Realität handelt.

 

Die christliche Leistung besteht in der Nachahmung und Literarisierung des Mythos. Das universelle Konzept wird auf eine einzige historische Person konzentriert. Die Erlösung der Menschheit ist nur noch durch ihn möglich. Die mystisch-allegorische Auslegung wird ab dem 3./4. Jahrhundert durch eine literalistisch-historische Methode der Interpretation ersetzt. Der Mythos wird zur (Pseudo-)Geschichte. Exoterik statt Esoterik ermöglicht der breiten Masse den Zugang zur christlichen Religion.

Zitat: „Das Christentum konnte die Massen des Abendlandes nur gewinnen und sich ihre Loyalität über Jahrhunderte hinweg sichern, weil es ihm gelang, seine Botschaft dem jeweils herrschenden Niveau allgemeiner Bildungslücken anzupassen. Dabei mussten die zugrunde liegenden Wahrheiten zwangsläufig zur lächerlichen Karikatur verkommen und üble Formen von Irrtum und Unwahrheit annehmen.“

Die Absenkung auf „Bild“-Niveau erforderte in Folge konsequent die Auslöschung der
Überlieferung und die Vernichtung der Beweise; die verfälschende Geschichtsschreibung wurde unumgänglich. Zu den heidnischen Vorgängern grenzte man sich ab und machte deren Verteufelung zum wesentlichen Bestandteil der neuen Lehre.

 

Für die Lektüre des anspruchsvollen „Heilands“ ist christliches Grundlagenwissen von Vorteil, aber nicht zwingend erforderlich. Anzuraten wäre vorab eher eine Beschäftigung mit der altägyptische Mythologie. Mehrere Anhänge, Anmerkungen und umfangreiche Zitate im Buch erleichtern aber den Zugang. Die Darstellung ist sehr kompakt, so dass ich mir manchmal mehr Details gewünscht hätte. Insbesondere Ablauf und Verantwortliche des „Untergang der Christenheit – Anfang des Christentums“ benannten Vorganges werden zu wenig herausgearbeitet. Im letzten Abschnitt wirbt H. für seine Vision eines erneuerten Christentums. Dennoch hat mich das Buch durchweg gefesselt.

Auch wenn ich die eigentliche „Mission“ des Autors nicht teile, gebe ich jedoch gern zu, erstmalig eine redliche Art christlichen Glaubens präsentiert bekommen zu haben. Eine Richtung, die den eigenverantwortlich handelnden und denkenden Menschen voraussetzt, ernst nimmt und ihn damit wertschätzt. Für religiös Suchende sicherlich erwägenswert.

Der Geschichts- und Religionsinteressierte wird mit einer Faktenfülle bedient, die fast erschlägt. H. gibt m.E. erstmalig eine einleuchtende Begründung für den Erfolg der christlichen Lehre gegenüber den überkommenen heidnischen Religionen. Für Chronologiekritiker gibt es kaum direkte Ansatzpunkte, aber auch da sind Bezüge möglich. So werden U. Toppers Auffassungen von der alten „Theater-Religion“, der Rolle von Drama und Mysterienspiel, gestützt. Auch F. Carotta wäre nun einzuordnen: Nicht mehr die Cäsar-Biographie als Vorlage für das Markus-Evangelium, sondern der im Drama fixierte göttliche Mythos als gemeinsame Folie für beide. Überflüssig zu erwähnen, dass Harpurs Buch eine „Leugnung der Geschichtlichkeit Jesu“ par excellence darstellt und damit nicht nur A. Drews bestätigt.

Beantwortet ist damit auch die Frage, warum ein Buch, das in der gegenwärtigen Jesus/Gral – Welle locker als Bestseller mitschwimmen könnte (Harpur ist übrigens in Kanada und USA tatsächlich Bestseller-Autor), von Bertelsmann als Fremdkörper in einem Winkel-Verlag für esoterische Literatur versteckt wird. H. selbst beschreibt, dass seine o.g. Vorgänger größte Schwierigkeiten hatten, Verleger zu finden; und von der Auslöschung der Überlieferung und Vernichtung der Beweise war ja auch schon die Rede.

Die 288 spannenden Seiten empfehle ich zum Kauf.

Der heidnische Heiland, gebunden, ist 2005 in 1. Auflage bei Ansata erschienen, kostet 19,95 Euro und kann unter ISBN 3-7787-7284-8 bestellt werden.

 

W. Dettmer